Auf der 28. Generalkonferenz der UNESCO 1995 in Paris wurde die Erklärung der Prinzipien der Toleranz verabschiedet. Im Zuge dessen wurde der 16. November zum Tag der Toleranz erklärt. An diesem Tag soll die Gesellschaft auf die Gefahren von Intoleranz gemacht werden. 23 Jahre nach der Erklärung dieser Prinzipien ist Intoleranz immer noch ein Problem. In den Zeiten der Flüchtlingskrise und einer stark polarisierten Gesellschaft wird sogar die Toleranz in Frage gestellt. Konservative und rechtspopulistische Politiker zweifeln sogar eine offene und „bunte“ Gesellschaft an. Sie stellen die Machtbarkeit der Aufnahme von Flüchtlingsmassen in Frage und fordern die Rückkehr zu den deutschen Werten.
Im Rahmen einiger Diskussionen stößt man immer wieder auf dieses Thema und auch explizit auf den Vorwurf der Diktatur der Toleranz.
Was verbirgt sich hinter dem Begriff?
Die Diktatur der Toleranz ist ein Vorwurf an die Teile der Bevölkerung, die eine weltoffene und bunte Gesellschaft anstreben. Es wird von einer Meinungsdiktatur ausgegangen, die jede Kritik an der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung, dem Verhalten von den Flüchtlingen und Muslimen und dem politisch linken Spektrum allgemein verbietet. Menschen, die diese Formulierung verwenden, haben das Gefühl, immer tolerant sein zu müssen und damit in ihrer Meinungsfreiheit beschränkt zu sein. Sie sehen sich von der Gesellschaft ausgeschlossen und selbst diskriminiert. Diese vermeintliche Diskriminierung ist ein Stilmittel des Vorgehens der AfD.
„Es regiert die Political Correctness, und es wird mit harten Sanktionen belegt, wenn jemand vom Grundrecht der Meinungsfreiheit Gebrauch macht und sagt, was er denkt. Auf der Strecke bleiben dadurch zwei Güter, für die zu kämpfen jeder Einsatz lohnt: Freiheit und Wahrheit.“ Dieser Auszug eines Blogbeitrags, der bereits 2013 erschien, zeigt klar den Versuch sich in die Opferrolle zu drängen. Häufig gelangt man bei der Suche nach der "Diktatur der Toleranz" auf rechtsradikale Internetseiten. Dort werden Menschen, die sich für eine tolerantere Gesellschaft einsetzen als Faschisten bezeichnet. In neueren Artikeln ist beispielsweise auch von einem „Links-Staat“ oder "Antifa-Staatspropaganda" die Rede.
Ein weiteres Beispiel ist die „Deutsche Gesellschaft zum Schutz von Tradition, Familie und Privateigentum“. Auf dieser Seite wird die Diktatur der Toleranz aus einer christlichen Perspektive betrachtet. In der Toleranz wird ein Wertverlust gesehen. Toleranz sei eine negative Akzeptanz des Bösen und sei nur dazu da, um Christen zu verfolgen. Die Diktatur der Toleranz dient also auch religiösen Fanatikern als Begriff, die in der politischen Verwendungsweise des Begriffs kritisiert wird. Wobei beide, die politische und religiöse Verwendung, hauptsächlich gegen den Islam und neuere, offenere Lebensweisen hetzen.
Bei der Suche nach diesem Begriff stößt man allerdings nicht nur auf Verschwörungstheorien. Michael Stürmer, Historiker und Journalist, veröffentlichte am 26.08.2014 einen Kommentar in „Welt“ mit dem Titel „Toleranz kommt niemals ohne Grenzen aus“. Darin thematisiert er vermeintliche Folgen einer toleranten Gesellschaft. In Zeiten von Parallelgesellschaften, Verweigerung der Integration, sozialem Sprengstoff und No-Go-Gebieten wirken die „Phrasen der Political Correctness […] wie Hohn auf die Sorgen der Bürger“. Er ist der Ansicht, dass unendliche Toleranz zum Krieg „Aller gegen Alle“ und der Notwendigkeit eines neuen Gesellschaftsvertrages führt, da irgendwann eine Grenze der Toleranz, eine Grenze des Erduldens, kommen wird. Auch er sieht den Möglichen Ernstfall der Toleranz in den Ängsten vor dem Islam begründet.
Er sieht die Bevölkerung nicht zwangsläufig als Opfer der Toleranz an, wie es durch die Aluhutträger praktiziert wird. Beim Lesen des Kommentars entsteht allerdings auch der Eindruck, dass Toleranz nur eine einseitige Angelegenheit ist. Die Deutschen müssten alles Neue ertragen, bis es irgendwann zu einem großen Knall kommt.
Toleranz als Friedensgarant
Michael Stürmer leitet in seinem Kommentar den Begriff Toleranz aus seiner lateinischen Übersetzung her. Tragen und ertragen, dulden und erdulden. Er führt allerdings nicht weiter aus, was genau damit gemeint ist und wo die Grenzen liegen.
Der einfachste Weg die Definition von Toleranz in der heutigen Zeit ist das allwissende Onlinelexikon: „Toleranz, auch Duldsamkeit, ist allgemein ein Geltenlassen und Gewährenlassen anderer oder fremder Überzeugungen, Handlungsweisen und Sitten. Umgangssprachlich ist damit heute auch die Anerkennung einer Gleichberechtigung gemeint, die jedoch über den eigentlichen Begriff („Duldung“) hinausgeht.“
In den Prinzipien der Toleranz der UNECSO wird die Bedeutung von Toleranz wie folgt beschrieben: „Toleranz bedeutet Respekt, Akzeptanz und Anerkennung der Kulturen der Welt, unserer Ausdrucksformen und Gestaltungsweisen unseres Menschseins in all ihrem Reichtum und ihrer Vielfalt. […] Toleranz ist Harmonie über Unterschiede hinweg. […] Toleranz ist eine Tugend, die den Frieden ermöglicht, und trägt dazu bei, den Kult des Krieges durch eine Kultur des Friedens zu überwinden.“
Toleranz bedeutet die gegenseitige Anerkennung der Kulturen. Die Prinzipien der Toleranz schieben auch einer tatsächlichen Diktatur der Toleranz, von der sich Rechtspopulisten bedroht sehen, ein
Riegel vor: "Toleranz ist nicht Gleichbedeutend mit Nachgeben, Herablassung oder Nachsicht. Toleranz ist vor allem eine aktive Einstellung, die sich stützt auf die Anerkennung der
allgemeingültigen Menschenrechte und Grundfreiheiten anderer. Keinesfalls darf sie dazu missbraucht werden, irgendwelche Einschränkungen dieser Grundwerte zu rechtfertigen. Toleranz muss geübt
werden von einzelnen, von Gruppen und von Staaten.“
Diktatur der Toleranz ist ein Widerspruch in sich
Der Begriff an sich zeigt schon, dass eine tolerante Gesellschaft niemanden unterdrücken wird. Es gehört in einer Demokratie dazu, dass es Menschen mit anderen Ansichten gibt und man diese akzeptiert. Konservative und rechtsradikale Kommentatoren in sozialen Netzwerken, Blogs und auf den Straßen haben die Möglichkeit, ihre Meinung zu sagen. Sie werden daran nicht gehindert. Den Beweis, also eine Beschreibung der Sanktionen, die folgen, wenn man vom Grundrecht der Meinungsfreiheit gebrauch macht, ist der Autor des oben zitierten Blogbeitrags schuldig geblieben.
Man kann seine Meinung sagen, solange man nicht andere Menschen diskriminiert oder beleidigt. Die Meinungsfreiheit hört bei der Würde einer anderen Person auf. Diesen einfachen Grundsatz verstehen einige Personen leider nicht, die dann von einer Diktatur der Toleranz sprechen.
Mir selbst wurde in Diskussionen öfters vorgeworfen, dass ich Toleranz predige, aber andere aufgrund ihrer Meinung diskriminiere. In diesen Fällen habe ich meinem Gegenüber in Diskussionen widersprochen und meine Meinung anhand von Argumenten dargelegt. Auch das zeichnet eine Demokratie aus und ist definitiv kein Anzeichen einer Diktatur.
Alternativen?
Michael Stürmer verzichtet in seinem Kommentar eine Alternative zur Toleranz zu nennen und auch nur kurz zu beschreiben, wie ein neuer Gesellschaftsvertrag aussehen sollte.
Bei gegenseitigem Respekt und dulden und handeln entlang der Prinzipien der UNESCO niedergeschrieben wurde, scheint es fraglich, wie Toleranz zu einem Kampf aller gegen alle führen soll. Man muss allerdings auch sagen, dass wir noch lange nicht in einer toleranten (Welt-) Gemeinschaft leben. Toleranz ist allerdings auch keine Einbahnstraße, sondern muss von jedem, egal ob Badener, Schwabe, Bayer, Berliner, Syrer, Afrikaner oder Amerikaner, gelebt werden.
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Kilian (Donnerstag, 19 Dezember 2019 08:34)
Man bedenke den Unterschied zwischen tolerieren (dulden) und akzeptieren (bejahen).
Darin liegt wirklich ein Widerspruch in sich.
Die Aufdeckung ihrer Ungenauigkeiten mit dem Vorurteil des Rechtspopulismus abzutun, ist anmassend. Bedenken Sie bitte, dass es in einer Demokratie gerade die freie Meinungsbildung
und Meinungsäußerung ist, die uns von der Diktatur unterscheidet.
Wenn ich beispielsweise der Meinung bin, dass der Erhalt der klassischen Familie ein Wert ist, der zu erhalten ist und Sie mir dann Intoleranz gegenüber Homosexualität vorwerfen, so ist das unredlich.
Unredlich? - Ja einfach daher, dass ich andere Lebensmodelle dulden kann aber doch nicht bejahen muss.
Die klassische Familie ist eben alles, was die Individuen dort mit hinnehmen. Also immer etwas höchst Individuelles. Und es kommt daher, dass unsere Kultur darauf versessen scheint, dass Narrativ des Opfers als das höchste Gut anzusehen, von dem alle lernen können.
Und dieses Narrativ ist leider mit Vorurteilen nur so bespikt.
Das Narrativ beinhaltet, dass Frauen allgemein nur Opfer und niemals Täter sein können.
Und das ist neben anderen Unwahrheiten schlichtweg eine völlig unredliche Lüge.
Außerdem erscheint es, als wären wir gar nicht mehr wirklich daran interessiert zu lernen um seiner selbst willen, sondern nur noch, um anderen zu gefallen oder um Macht zu erhalten.
Der Edle Mensch sollte nicht nach Macht streben, sondern sein Leben auf das Lernen ausrichten,
so wie es Konfuzius für sein Volk ,,visioniert" hatte.
Das wahre Problem in unserer Kultur ist eher Alkoholismus, Drogenmissbrauch und eine nicht mehr abwendbare Technisierung unserer gesamten Kultur.
Das ist Nietzsche - den Übermenschen in die Abstraktion der Robotik gehoben.
Davor können kleingestige Politiker uns nicht bewahren.
Ohne Moral - ohne Gott - ohne Erfurcht.