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Polizisten: Freispruch durch Uniform

Vom Uniformfetisch der bürgerlichen Mitte, Einzelfällen von Gewalt und dem Fehlen von Kontrolle

Nach dem Mord an George Floyd gab es weltweit Diskussionen über Polizeigewalt und Racial Profiling. Deutsche Politiker*innen und Bürger*innen fällt es schwer, Kritik an der Polizei zu äußern. Das ist problematisch. Ein Kommentar.

 

„Die Polizei – dein Freund und Helfer.“ So versucht sich die Polizei darzustellen. Von den meisten Menschen wird sie vermutlich so wahrgenommen. Kritik gegen die Polizei kommt bei vielen nur, wenn sie wegen zu hoher Geschwindigkeit angehalten werden, keine Rettungsgasse einhalten und gaffen und deswegen zahlen müssen. Solange der Geldbeutel nicht bedroht wird, ist die Polizei der Freund und Helfer der Mehrheit der Deutschen.

 

Es scheint, dass Polizist*innen in den Augen eines Großteils der Bevölkerung unfehlbar sind. Sie sorgen schließlich für unsere Sicherheit. Sie stoppen islamistische Terrorist*innen und linksextreme Randalierer*innen. Sie führen Razzien bei kriminellen Clans durch und nehmen ausländische Drogendealer fest. Jede*r kann ruhig schlafen, weil es die Polizei gibt. Aber ist das wirklich so?

 

Die Masse von Einzelfällen

Was ist mit den People of Colour, die nur aufgrund ihres Aussehens kontrolliert werden? Was ist mit den Menschen, die bei stigmatisierten Demonstrationen eingekesselt oder geschlagen werden und Pfefferspray in die Augen bekommen? Was ist mit den Personen, die kriminalisiert werden, weil sie Fußballfans sind und ein Auswärtsspiel anschauen wollen? Wer hilft den Frauen, die aufgrund ihres politischen Engagements Drohschreiben mit der Unterschrift „NSU 2.0“ erhalten, nachdem ihre Daten von Polizist*innen abgerufen wurden? Was ist mit den Menschen, die auf Feindeslisten rechtsextremer Netzwerke stehen, wo Polizist*innen Mitglied sind?

 

Wer kümmert sich um deren Sicherheit und Freiheit? Wer kümmert sich um die Menschen, deren Grundrechte von genau den Personen verletzt werden, die sie eigentlich schützen sollten?

 

Inkonsequente Gewaltenkontrolle

In Demokratien sollten das die Legislative - in Wahrung ihrer Kontrollfunktion gegenüber der Exekutive – und die Judikative übernehmen. Politiker*innen stellen sich aber in den meisten Fällen hinter die Polizei und lehnen Kritik und Forderungen nach Aufklärung kategorisch ab. Auch Gerichtsverfahren wegen unrechtmäßiger Polizeigewalt führen in den seltensten Fällen zu Sanktionen.

 

Das Vertrauen in die Polizei ist hoch. Das ist einerseits gut, weil es zeigt, dass die Mehrheit der Polizist*innen überwiegend gut arbeitet. Andererseits darf es kein blindes Vertrauen geben, das zu einem fast garantierten Freispruch wegen Uniform führt.

 

Enorme Verantwortung durch Gewaltmonopol

Die Polizei ist Träger des Gewaltmonopols. Beamte sind schwer bewaffnet. Ihr Eingreifen bedeutet fast immer einen Eingriff in die Freiheit der Betroffenen. Daraus ergibt sich eine enorme Verantwortung. Deshalb ist es wichtig, dass das Handeln der Polizei kritisch begutachtet wird.

 

Wenn Menschen bei politischen Veranstaltungen in ihrer freien Meinungsäußerung behindert werden, muss das gut begründet werden. Besonders hinschauen sollte die Gesellschaft, wenn Menschen nur aufgrund ihres Aussehens kontrolliert werden. Polizist*innen als Vertreter*innen des Staates – also aller Menschen – dürfen nicht einzelne Personen diskriminieren. Dass die Mittel der Polizei nicht zur Bedrohung von Menschen eingesetzt werden dürfen und so ein Handeln konsequent aufgeklärt und bestraft gehört, steht außer Frage.

 

Unabhängige Kontrolle

Die Verantwortung liegt bei der Politik. Rechtswidriges Handeln muss untersucht und erforscht werden. Politiker*innen sollten dafür die Rahmenbedingungen schaffen. Zur Kontrolle scheint eine unabhängige Stelle am besten geeignet, damit Kolleg*innen nicht gegeneinander ermitteln müssen.

 

Die Aufklärungsarbeit ist im Interesse aller Polizeibeamt*innen. Falscher Korpsgeist und blinde Rückendeckung nach Fehlverhalten von Einzelnen schaden dem Ansehen der ganzen Polizei. Und Fehler sind menschlich und passieren immer. Eine Uniform macht den Menschen darin nicht automatisch unfehlbar. Das haben große Teile der Bevölkerung und der Politiker*innen im Wahn ihres Uniformfetischs vergessen.

 

Quellen:

 

Hier finden Sie eine Auswahl von Artikeln und Statistiken zum Thema. Sie können als Ausgangspunkte für weitere Recherchen verwendet werden. Diese Liste enthält Dossiers aus verschiedenen Artikeln zu einem jeweiligen Thema. Aufgrund der Masse wäre eine Auflistung aller Artikel zu umfangreich und nicht zielführend.

 

 

Abdul-Rahman, Laila; Espín Grau, Hannah; Singelnstein, Tobias (2019): Polizeiliche Gewaltanwendungen aus Sicht der Betroffenen. Zwischenbericht zum Forschungsprojekt „Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamt*innen“ (KviAPol). Ruhr-Universität  Bochum, 17.9.2019, https://kviapol.rub.de.

Erb/Schmidt (2019): „Auf der Feindesliste“; https://taz.de/Rechter-Terror-in-Deutschland/!5608261/; zuletzt geprüft am 19.08.2020

Hessenschau.de (2019):“ Weitere Drohschreiben an Frankfurter Anwältin aufgetaucht“, https://www.hessenschau.de/gesellschaft/nach-luebcke-mord--weitere-drohschreiben-an-frankfurter-anwaeltin-aufgetaucht,neuer-drohbrief-100.html; zuletzt geprüft am 19.08.2020

Hessenschau.de: „Thema: ‚NSU 2.0‘-Affäre“; https://www.hessenschau.de/themen/nsu-2-0-thema-100.html; zuletzt geprüft am 19.08.2020.

Leitlein, Hannes (2020):“ Bundesinnenministerium sagt Studie zu Rassismus bei der Polizei ab“, https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-07/racial-profiling-studie-polizei-abgesagt-justizministerium-horst-seehofer; zuletzt geprüft am 19.08.2020

Reinhardt, Friedrich (2020):“ Nach Prügel-Attacke von Beamten: Warum Polizisten so selten verurteilt werden“, https://www.fr.de/frankfurt/polizeigewalt-frankfurt-anzeige-polizei-video-twitter-schlaege-90025717.html; zuletzt geprüft am 19.08.2020

TAZ: „Schwerpunkt: Hannibals Schattennetzwerk“; https://taz.de/Schwerpunkt-Hannibals-Schattennetzwerk/!t5549502/; zuletzt geprüft am 19.08.2020

Thompson, Vanessa Eileen (2020):“ Racial Profiling, institutioneller Rassismus und Interventionsmöglichkeiten“, https://www.bpb.de/gesellschaft/migration/kurzdossiers/308350/racial-profiling-institutioneller-rassismus-und-interventionsmoeglichkeiten; zuletzt geprüft am 19.08.2020

ZDF Politbarometer. (2020). Haben Sie im Großen und Ganzen großes Vertrauen in die Polizei?. Statista. Statista GmbH. Zugriff: 19. August 2020. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1129031/umfrage/umfrage-zum-vertrauen-in-die-polizei-in-deutschland/

Ziegler, Jean-Pierre (2019):“Wenn Polizisten zuschlagen“, https://www.spiegel.de/panorama/justiz/polizeigewalt-studie-tausende-menschen-berichten-von-ihren-erfahrungen-a-1286381.html; zuletzt geprüft am 19.08.2020

 

 

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