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„Streamland“ von Marcus S. Kleiner: Die unterschätzte Gefahr von Netflix und Co.?

Medienwissenschaftler Marcus S. Kleiner analysiert im Buch „Streamland. Wie Netflix, Amazon Prime und Co. unsere Demokratie bedrohen“ die Auswirkungen des Film- und Serienkonsums auf die Demokratie.

 

Das Leben wird immer digitaler. Die Digitalisierung hat viele Bereiche des Lebens erreicht. Es gehe auch gar nicht mehr um die Frage „digital oder nicht digital“. Ein Ausstieg aus der digitalen Gesellschaft sei heute auch gar nicht mehr möglich, schreibt Medienwissenschaftler Marcus S. Kleiner in seinem Buch „Streamland“. Die Corona-Pandemie hat dennoch die Digitalisierung beschleunigt. Immer mehr Bereiche des Lebens verschieben sich ins Internet: Schüler:innen konnten trotz geschlossener Schulen und Kontaktbeschränkungen mit den Lehrkräften kommunizieren, während ihre Eltern ebenfalls von zuhause aus gearbeitet haben und es noch immer tun.

 

Marcus Kleiner analysiert in „Streamland“ Auswirkungen vom Streaming

Die Freizeit vieler Menschen findet ohnehin schon länger online statt: Streaming-Dienste wie Netflix, Amazon Prime, Disney+ und Co. sorgen für Unterhaltung und machen Kinos und linearen Fernsehsendern wie der ARD, dem ZDF oder Arte Konkurrenz oder ersetzen sie sogar schon. Die sozialen Medien und Messenger-Dienste helfen dabei, den Kontakt mit Freund:innen und der Familie nicht zu verlieren – und sie werden zu einem wichtigen Raum der politischen Auseinandersetzung. Alle können dort teilnehmen und ihre Meinung kundtun. Die neuen Medien wirken daher demokratischer.

 

Wie allerdings der Skandal um Facebook und Cambridge Analytica gezeigt hat, haben die neuen Kanäle auch ihre Schattenseiten: Bei der Benutzung geben die Menschen viel von sich preis und erzeugen eine Unmenge Daten, die missbraucht werden können. Menschen machen sich manipulierbar, so die Kritik. Sie leben in Filterblasen, wo sie nur gezeigt bekommen, was zu ihren Interessen und ihrem Geschmack passt. Aber nicht sie entscheiden, was das genau ist, sondern Algorithmen. Wir leben ein digital betreutes Leben, schreibt Marcus Kleiner in „Streamland“.

 

„Streamland“ von Marcus S. Kleiner: Unternehmen beeinflussen das Weltbild der Menschen

Die Unternehmen, die die Filterblasen produzieren, nehmen dabei Einfluss auf unsere persönliche und demokratische Wirklichkeit. Die aufbereiteten Suchergebnisse hätten Einfluss auf das Selbst- und Weltbild der Menschen, heißt es in „Streamland“ von Marcus S. Kleiner. Programmierer:innen und Digitalunternehmen würden so mächtiger und einflussreicher als Politiker:innen.

 

Soweit ist die Beobachtung nichts Neues. Marcus Kleiner erweitert jedoch die Kritik an Digitalunternehmen, die sich vor allem auf Facebook bzw. Meta und Google konzentriert, und nimmt in seinem Buch mit dem vollen Titel „Streamland. Wie Netflix, Amazon Prime und Co. unsere Demokratie bedrohen“ auch die digitale Unterhaltungsbranche in den Blick.

 

„Streamland“ von Marcus S. Kleiner: Filterblasen gefährden die Demokratie

Streaming-Dienste stellen den Geschmack der Zuschauenden in den Mittelpunkt und liefern ihnen dann die passenden Inhalte dazu. Auch Netflix, Amazon Prime, Disney+ usw. erschaffen dadurch Filterblasen. Die Auseinandersetzung mit der Welt und anderen Standpunkten sei durch die „Ich-Gefängnisse“, wie Marcus Kleiner sie auch nennt, nicht möglich. Die Zuschauer:innen leben parallel zueinander, zu einem Austausch komme es nicht mehr. Die Bezugnahme zur Welt werde eingeengt.

 

Die Welt laufe nur im Rahmen der Inhalte ab, die Netflix zum Geschmack der Nutzer:innen passend erachte, erklärt Marcus Kleiner in „Streamland“. Personen, die zum Beispiel nur Krimis oder „True Crime“-Formate anschauen, könnten sich dadurch nur von Mörder:innen und Verbrecher:innen umzingelt sehen. Wenn das der Fall ist, kann dadurch das Urteilsvermögen beim Thema Sicherheit und Kriminalität eingeschränkt werden.

 

Marcus Kleiner schildert die Nutzer:innen der Streaming-Dienste so, dass sie sich nahezu vollständig an ihren Empfehlungen orientieren und im enormen Angebot der Unternehmen das auswählen, was ihnen die Algorithmen präsentieren. Als Konsequenz sieht Kleiner Werte wie Selbstbestimmung, Urteilskraft, Entscheidungssouveränität und Freiheit verloren gehen. Durch die Allverfügbarkeit des Angebots verändere sich außerdem die Erwartungshaltung der Menschen, was zu einem „digital kultiviertem Narzissmus“ führe, erklärt der Medienwissenschaftler.

 

„Streamland“ von Marcus S. Kleiner ist durchaus etwas langatmig

Marcus S. Kleiner lenkt mit „Streamland“ die Aufmerksamkeit auf das scheinbare unschuldige Feld der digitalen Unterhaltung. Er regt damit erneut zum Nachdenken an, ob man denn nicht selbst in einer Filterblase lebt und vielleicht wirklich neuen Inhalten und anderen Denkweisen gegenüber so aufgeschlossen ist, wie man es sich vielleicht wünscht.

 

Kleiner geht jedoch sehr langsam vor und startet mit einer Beschreibung der Generation der 20- bis 30-Jährigen, die sich teilweise wie ein Lästern über „die Jugend von heute“ liest. Es folgt ein Exkurs zur Geschichte des Fernsehens in Deutschland sowie von Netflix und Amazon Prime. Dadurch zieht sich das Buch. Leser:innen, die Kleiners Bild der Generation zwischen 20 und 30 Jahren entsprechen und zu seiner Zielgruppe gehören sollten, könnten auf dem Weg zu seinen Ausführungen zum demokratiegefährdenden Potenzial von Netflix und Amazon Prime verloren gehen.

 

Aber wie gehen wir mit dem demokratiegefährdenden Potenzial der Streaming-Unternehmen um? Marcus Kleiner fordert von den Digitalunternehmen mehr Transparenz und Mitbestimmung der Nutzer:innen und plädiert für eine Neuausrichtung der Auseinandersetzung mit der Digitalisierung. Dabei kritisiert er die Politik, die Digitalisierung als mehr Bürgerservice und Verwaltungsabbau verstehe und nicht auf der Höhe unserer digitalen Kultur sei. Die selbsternannte Digitalisierungspartei FDP nimmt Kleiner besonders in den Fokus. Die FDP habe mit ihrer Kampagne zur Bundestagswahl 2017 einen Beitrag zur „selbstverschuldeten Verblödung“ geleistet, die nicht demokratische Teilhabe, sondern nur die Forderung, offen für die Technologien zu sein, enthalten habe.

 

Wie gehen wir mit Marcus Kleiners Analyse in „Streamland“ um?

Es gehe aber nicht darum, Digitalisierung abzuwählen, sondern um Mitgestaltung statt fraglos alle Macht an die Digitalunternehmen abzutreten, erklärt Marcus S. Kleiner in „Streamland“.

 

Es liegt also an der Politik und der Zivilgesellschaft, Kultur und den demokratischen Willensbildungsprozess nicht den ökonomischen Interessen von Unternehmen zu überlassen. Marcus Kleiner unterschätzt in „Streamland“ jedoch den Einsatz viele Bürger:innen, die sich schon jetzt für die Demokratie einsetzen und auf die Risiken hinweisen. Mit seinem Buch ist auch er ein Teil davon.

 

Ein Start muss sein, dass sich Individuen versuchen, sich auch außerhalb ihrer Komfortzone zu informieren. Journalist:innen müssen das durch ausgewogene Berichterstattung ermöglichen. Das bedeutet jedoch ausdrücklich nicht, dass jede Meinung und Verschwörungserzählung gehört werden muss. Stattdessen sollten wir uns an Fakten orientieren.

 

„Streamland. Wie Netflix, Amazon Prime & Co. unsere Demokratie bedrohen“ von Marcus S. Kleiner ist am 1. Oktober 2020 im Verlag Droemer HC erschienen.

 

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