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"Und morgen die ganze Welt" auf Netflix: Wie weit darf Antifaschismus gehen?

Im Film „Und morgen die ganze Welt“ bekommt das Publikum einen Einblick in eine Antifa-Gruppe. Der Film ist voller Klischees und versucht die Frage zu beantworten, wie weit Antifaschismus gehen darf. 

 

Das Studium: junge Menschen verlassen ihre Elternhäuser und ziehen in eine Stadt, um dort irgendetwas zu studieren. Manche studieren auch etwas „Richtiges“ wie Wirtschaftswissenschaften oder Jura. Nebenbei lernen sie viele neue Leute kennen und politisieren sich. Sie leben ihre politische und soziale Seite aus, gehen auf Demonstrationen, werden Veganer:innen und besuchen VoKüs (Volxküchen) in irgendwelchen alternativen Kulturzentren, wo sie im Plenum diskutieren. Das ist zumindest das Klischee.

 

„Und morgen die ganze Welt“ auf Netflix: Klischeemäßige Protagonistin

Diesen Weg geht auch die Protagonistin, Luisa, des Films „Und morgen die ganze Welt“ von Regisseurin Julia von Heinz, der seit dem 6. Mai 2021 auch auf Netflix verfügbar ist. Luisa studiert im ersten Semester Jura und stammt aus einem gut situierten, um nicht zu sagen bourgeoisen, Elternhaus. In Mannheim will sie aber in das Hausprojekt „P 81“ einziehen, wo bereits ihre beste Freundin Bette lebt. Mit war sie bereits in der SMV und bei der Flüchtlingshilfe aktiv – und auch in einer Schüler-Antifa-Gruppe, dessen einzige Mitglieder die beiden waren.

 

Luisa politisiert sich also nicht, aber sie wird aktiver. Mit der Antifa-Gruppe aus dem Haus besuchen sie eine Gegendemo zu einer Veranstaltung einer rechten Partei. Sie heißt im Film nur „Liste 14“; die Plakate ähneln aber der rechtsextremen AfD. Bei der Demo werfen die Antifa-Aktivist:innen mit Eiern und einer Torte auf die Rednerin. Es folgt eine Rangelei zwischen einer Nazi-Gruppe, die als Ordner bei den Rechtsextremisten sind, und den Gegendemonstrant:innen. Mittendrin ist auch Luisa, die einem Nazi ein Handy klaut. Er verfolgt sie, drückt sie auf den Boden und begrabscht sie. Alfa, ein Bewohner des „P 81“, hilft ihr.

 

 

Anschließend plant Luisa mit Alfa und seinem Kumpel Lenor eine Aktion bei einer rechtsextremen Demo: Sie wollen Autos von Nazis zerstören. Sie entscheiden sich in der Aktion auch, die Nazis direkt anzugreifen. Es folgt eine große Schlägerei, die mit Verletzten endet.

„Und morgen die ganze Welt“ auf Netflix: Ab wann ist Widerstand rechtmäßig?

An dieser Stelle lohnt es sich, an den Anfang von „Und morgen die ganze Welt“ zurückzugehen. Der Film beginnt mit einem Zitat aus dem Grundgesetz: „Die Bundesrepublik ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. […] Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“ In einer Vorlesung stellt der Professor die Frage, wann das Widerstandsrecht aus Artikel 20 Absatz vier des Grundgesetzes denn gilt. Er fragt, ob es nicht schon greifen sollte, wenn Vorbereitungen zur Beseitigung der Ordnung getroffen werden.

 

Das ist eine der Fragen, die über dem Film „Und morgen die ganze Welt“, der aktuell auf Netflix zu sehen ist, schweben. Die Antwort wird nicht ausgesprochen. Stattdessen wird sie gelegt, schließlich wehren sich die Antifa-Aktivist:innen gegen die Faschist:innen. Sie demonstrieren gegen sie und greifen sie sogar an.

 

„Und morgen die ganze Welt“ zeigt zentrale Frage des Antifaschismus

Und hier stellt sich die große Frage des Films „Und morgen die ganze Welt“: Wie wehrt man sich gegen die Faschist:innen? Diese Frage führt auch zu Streit innerhalb der Gruppe des Wohnprojekts: Luisas beste Freundin Bette will große friedliche Demonstrationen mit Beteiligung von weiten Teilen der Zivilgesellschaft (Parteien, Kirchen, usw…) organisieren, während Alfa, Lenor und Luisa die Nazis auch angreifen wollen. Und auch in diesem Trio, das sich im Laufe des Films aus der größeren Gruppe abspaltet, gibt es Streit. Lenor plädiert dafür, niemanden zu verletzen: „Ich fand immer gut, dass wir gesagt haben, Menschen können sich ändern. Deshalb darf keinem ernsthaft was passieren von denen. […] Das ist es doch, was uns von denen unterscheidet.“

 

Als sich Luisa bei dem Kampf mit den Nazis verletzt, bringen Lenor und Alfa sie zu Dietmar, einem Altlinken. Als Student war er deutlich radikaler und musste wegen eines Sprengstoffattentates sogar ins Gefängnis. Dietmar reflektiert die Aktionen von außen. Und er ist es auch, der den Sinn der Aktionen hinterfragt: „Damals ging es noch ums große Ganze. Nicht so einen Kleinscheiß hier.“ Was wirkt, wie die klischeemäßigen Vorbehalte und Herabwürdigungen der Alten gegenüber ihren Nachfolger:innen, wird später auch zu Selbstkritik.

 

Kaum Erkenntnisgewinn in „Und morgen die ganze Welt“ auf Netflix

„Und morgen die ganze Welt“ arbeitet mit einer Reihe von Klischees. Es fängt mit der Politisierung und Radikalisierung der Protagonistin im Studium an. Luisa kommt ein bisschen wie eine „Lifestyle-Linke“ daher, die sich engagiert, aber jederzeit wieder zurück in ihre heimische Wohlfühlblase könnte.

 

Und auch die Frage des Films, wie weit Antifaschismus gehen darf, die dann auch beantwortet wird, ist nichts Neues. Insofern bietet der Film keinen Erkenntnisgewinn. Ausnahme ist, dass der Film eben die Spaltung „der Antifa“ zeigt. Damit geht „Und morgen die ganze Welt“ dem Bild der Antifa als einheitliche gewalttätige Gruppe, die immer als schwarzer Block auftritt, entgegen. Denn die Mehrheit der Antifaschist:innen sind friedlich, genau wie es die Mehrheit der Demonstrationen ist. Es wäre nur nicht sonderlich spannend, einen Film darüber zu machen.

 

Seit dem 6. Mai 2021 ist "Und morgen die ganze Welt" auf Netflix zu sehen. Bei den internationalen Filmfestspielen von Venedig 2020 war der Film für den Goldenen Löwen und den Queer Lion nominiert. Mala Emde, die Hauptdarstellerin, wurde mit dem Bisato d'Oro ausgezeichnet. Der Film war auch der deutsche Kandidat für den besten internationalen Film bei der Oscarverleihung.

 

Linksextremismus war auch Thema einer ZDF-Info Dokumentation, die ebenfalls Klischees undifferenziert reproduziert.

 

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