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Wohlfühldiktatur der Duschgelindustrie

Werbung soll Leute dazu bringen, ein bestimmtes Produkt zu kaufen. Das ist logisch. Deswegen versuchen Firmen auch den Eindruck zu erwecken, dass ausgerechnet ihre Produkte glücklich machen. Manchmal geht es auch zu weit. An einem kalten, grauen Morgen darf auch Raum für Melancholie sein. Überglückliche oder motivierende Werbung sollte nicht das Gegenteil propagieren. Gedanken eines Menschen, der zu viel Zeit zum Hinterfragen von Selbstverständlichkeiten hat.

 

Neun Grad und bewölkt. Alles erscheint grau. Nein, es erscheint nicht nur grau. Alles ist grau. Okay, vielleicht liegt es daran, dass noch der Vorhang zu ist. Es kommt also kaum Licht rein. Es ist also noch nicht sicher, ob es wirklich bewölkt ist. Das sagt allerdings die Wetter-App. Es motiviert nicht gerade zum Aufstehen. Das Grau im Zimmer und das erwartete Grau draußen bleiben also erst einmal (gefühlte) Realität. Eine Realität, die so lebensfeindlich wirkt, dass das warme Bett der einzige lebensbejahende Ort ist. Die Uhrzeiger, die selbstverständlich keine wirklichen Zeiger sind, sondern Zahlen am oberen Bildschirmrand des Mobiltelefons, weisen vorwurfsvoll auf eine Tageszeit hin, zu der es nicht gerade angebracht erscheint, noch im Bett zu liegen. Die Bettdecke wiegt zwar schwer, besonders, da die Wärme im krassen Gegensatz zu den versprochenen neun Grad der Wetter-Applikation steht. Trotzdem überwiegt dann die Hoffnung, dass das Internet lügt und die Realität hinter dem Vorhang bunter ist, als das graue Zimmer mit der wärmenden Bettdecke.

 

Die Hoffnung stirbt aber schon nach einem ersten Blick auf das echte Leben. Das Mobiltelefon zeigt sich als treuer Begleiter und hat nicht gelogen. Es ist grau. Lüften scheint unangebracht. Wenn die Aussage über die Wolken stimmt, wird wohl alles stimmen. Also auch die Info, dass es draußen kalt ist. Im Zimmer ist es zwar grau, aber immerhin warm.

 

Es ist ein Oktobertag, der sich von der idealisierten Vorstellung eines bunten Herbsttages nicht stärker unterscheiden könnte. Die Sonne scheint nicht. Und auch die Blätter, die in einer umfänglicheren und schöneren Farbenpracht erstrahlen als sonst, erscheinen eher blass.  Eigentlich gibt es keinen Grund, wieso ein Mensch an einem solchen Oktobertag das Haus verlassen sollte. Ein solcher Tag, der als Freitag eigentlich schon durch den Charakter eines Freitags vielversprechend sein müsste, ist prädestiniert dafür, um der Herbstmelancholie nachzugeben und an buntere, hellere Morgen, Mittage und Abende zu denken. Und „denken“ ist in diesem Fall ein Synonym für „nachtrauern“.

 

Lustlosigkeit macht sich breit. Sie wirkt so dominant, dass sie fast jedes andere Gefühl im Keim erstickt. Verstärkt wird das Gefühl durch den Anblick der Ordner einer bekannten Marke, die auf dem Schreibtisch liegen. Der Herbstblues vermischt sich mit dem schlechten Gewissen. Der Anblick eines Teils der Arbeit führt aber nicht dazu, dass versucht wird, die Ursachen zu bekämpfen. Nein. Es lähmt. Die Lustlosigkeit siegt. Aber sie siegt nicht wirklich. Ein profanes, natürliches Bedürfnis überwiegt alles. Die Ursache sind simple biologische Zwänge. Das physische Überleben des Körpers will gesichert werden. Dagegen hat die Lustlosigkeit des Geistes keine Chance. Zumindest nicht an diesem Oktobertag, weil Lustlosigkeit und ihre Konsequenz, die Prokrastination, an den vorherigen Oktobertagen dominieren konnten. Jetzt, an diesem grauen Tag, gibt es allerdings keine Alternative zum Hinausgehen. Der Weg führt zum nächsten Einkaufsladen. Es ist wirklich der Nächste. Also ein Drogeriemarkt, der auch Lebensmittel führt.

 

Das hat den Nachteil, dass Art und die Auswahl der Lebensmittel stark beschränkt ist. Das übliche Sortiment eines Drogeriemarktes ist aber ein Vorteil. Die Auswahl bei Artikeln zur Körperpflege ist größer und man wird fast dazu verleitet, Drogerieartikel zu kaufen, die sonst nur gekauft würden, wenn es wirklich dringend ist.

 

Zur Stimmung passen die Sachen aber nicht. Hier sind offensichtlich übermotivierte Designer*innen und Mitarbeiter*innen von Werbeagenturen am Werk. „Wohlfühl-ZEIT“. Nichts steht in größerem Widerspruch zu einem solchen Oktobertag als dieses Wort. „Lebens-FREUDE“ reiht sich perfekt in diese unpassenden Wörter ein. Was soll denn diese Betonung auf Freude? Es ist kalt, grau und Arbeit stapelt sich buchstäblich auf dem Schreibtisch. „Happiness“: Nichts könnte unpassender sein. „Stressfrei“, „gute Laune“, „Sei frei, verrückt und glücklich“. Das ist alles viel zu positiv.

 

Klar, ist es ideal, wenn jede*r so wäre. Aber es ist nicht die Realität. Diese Einstellung, die alles unbedingt so positiv wie möglich darstellen will, ist deprimierend. Schlechtfühlen ist keine Option. Wohlfühlen wird zum gesellschaftlichen Imperativ. Alles andere wird ausgeblendet. Die schlechte Laune, die an solchen Tagen durch das Wetter fast naturgegeben ist, soll weggespült werden. Es ist kein Platz für Pessimismus. Menschen müssen funktionieren. Melancholie ist Zeitverschwendung.

 

Dabei wäre ein Versprechen nach Kaffee am Morgen doch deutlich effektiver als der abstrakte Ruf nach Glück. Oder besser als das Propagieren von Freiheit, Verrücktheit und Freude. Es braucht auch Raum, um sich mies zu fühlen. Ein Kontrast zu dieser Wohlfühlpropaganda der Duschgelindustrie kann melancholische Musik sein. Vielleicht ist das ein Ausgleich am Morgen. Ein bisschen Melancholie ist manchmal ok. Das Gegenteil sollte nicht zu sehr idealisiert werden.

 

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