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ZDF-Doku über Linksextremismus: Undifferenzierte Reproduktion von Klischees

Viele Menschen stellen sich Linksextremismus so vor: Brennende Autos, schwarz gekleidete und vermummte Menschen werfen Steine auf Polizist:innen. Der Verfassungsschutz warnt vor einer Zunahme genau dieser Gewalt. Eine ZDF-Doku mit dem Titel „Brandanschläge und Morddrohungen. Linksextremismus in Deutschland“ widmet sich dem Thema. Die Doku zeigt zwei wichtige Aspekte von linksextremistischer Gewalt, lässt aber vieles im Unklaren. Die TV-Kritik. 

 

Frontal 21 widmet sich in einer Dokumentation für ZDF-Info dem Thema Linksextremismus in Deutschland. Auch sie bedienen sich bei der Einleitung der Doku mit dem Titel „Brandanschläge und Morddrohungen. Linksextremismus in Deutschland“ den klischeemäßigen Bildern von brennenden Fahrzeugen und einem schwarzen Block, der hinter mehreren Demo-Transparenten durch eine dunkle Straße läuft und von behelmten Polizist:innen begleitet wird. Ziel der zwei Autor:innen Beate Frenkel und Michael Haselrieder ist es, mit Opfern von linksextremer Gewalt zu sprechen. Die potenzielle Gefahr von Linksextremismus wird anhand eines Paares aus Stuttgart gezeigt, die Brandanschläge verübt und Drohscheiben verschickt haben sollen.

ZDF-Doku über Linksextremismus in Deutschland: Gewaltbereites Paar als Protagonist:innen

Die Autor:innen sprechen mit einer Nachmieterin und einem Parteigenossen aus der ÖDP über das Paar, um ihre Motive herauszubekommen. Außerdem wird ihre Entwicklung etwas nachgezeichnet. Die Doku benutzt Demonstrationen als Beispiele für linksextremistische Aktionen, bei welchen beide teilgenommen haben. Unter anderem sind beide bei einem Protest gegen die Räumung des besetzten Hauses in der Berliner Liebigstraße 34 gewesen. Mit dem Hinweis, dass unweit des mittlerweile geräumten Hauses in der Rigaer Straße 94 der letzte Rückzugsort für die autonome Szene in Berlin ist, wird auch dieser Ort zum Thema. Gesprochen wird mit einem SPD-Innenpolitiker, der sich nicht mehr in die Gegend traut, weil er angegriffen werden würde, wie er befürchtet, und den Anwälten sowie dem Hausverwalter des Gebäudes. Aber auch Anwohner:innen, deren Häuser mutmaßlich von Autonomen aus dem Umfeld der besetzten Häuser angegriffen wurden, kommen zu Wort.

 

Dieser Teil der Dokumentation hat mutmaßlich den größten Neuigkeitswert. Und es wird tatsächlich ein Problem gezeigt. Gewalt ist selbstverständlich nie ein geeignetes Mittel, um seine politischen Ziele umzusetzen. Umso schlimmer ist es allerdings, wenn Unbeteiligte angegriffen werden. Die Anwohner:innen haben nichts getan, außer in den sanierten Altbauten zu wohnen. Angriffe auf diese Menschen sind nicht mit linken Ideen vereinbar. Insofern handeln diese Menschen auch im Widerspruch zu ihren eignen politischen Zielen.

 

Opfer von linksextremer Gewalt kommen in der ZDF-Doku zu Wort

Die zwei zentralen Aufhänger, also die Gespräche mit den Opfern von linksextremer Gewalt, sowie die Laufbahn der beiden mutmaßlichen Straftäter:innen ist tatsächlich gut umgesetzt. Eine detailliertere Aufbereitung dieser Probleme wäre allerdings nötig gewesen. Die Dokumentation kratzt dann doch etwas zu sehr an der Oberfläche. Dabei sollten diese zwei Themen, der Fokus auf die Opfer, oder das Pärchen, das sich so weit radikalisierte, bis sie mutmaßlich bereit zu Brandanschlägen waren, im Vordergrund stehen.

 

Die Dokumentation „Brandanschläge und Morddrohungen. Linksextremismus in Deutschland“ in ZDF-Info wagt aber eine umfassendere Betrachtung – wie es der Titel schon sagt. Und das geht schief.

Eine halbstündige Doku kann kein umfassendes Bild zu Linksextremismus liefern

Schon die Dauer von 28 Minuten macht einen umfassenden Blick fast unmöglich. Aber der Versuch scheitert auch inhaltlich, weil sich die Autor:innen dazu hinreißen lassen, viele Dinge in einen Topf zu werfen. Eine undifferenzierte Berichterstattung, wo friedliche Demonstrierende mit gewaltbereiten Linksextremist:innen, die Brandanschläge verüben in einen Topf geworfen werden, ist die Folge. Schon der Titel „Brandanschläge und Morddrohungen. Linksextremismus in Deutschland“ suggeriert, dass das der Kern linksextremistischen Handelns wäre. Das ist problematisch, weil die Dokumentation auch Demonstrationen als Beispiele nutzt, die größtenteils friedlich waren.

 

Hinzu kommen Formulierungen, die diesen Eindruck bestärken. Demonstrationen werden mit Gewalt und linksextremen Straftaten in einen Zusammenhang gebracht. „Die linksradikale Szene demonstriert stärker, nicht nur in Berlin. Laut Bundesverfassungsschutz hat 2019 die Zahl linksextremistischer Straftaten um 40 Prozent zugenommen.“ Eine Differenzierung zwischen „linksradikal“ und „linksextrem“ findet nicht statt. Auch eine Unterscheidung zwischen friedlichen linksradikalen Demos und Protesten mit Ausschreitungen wird nicht vorgenommen. Das ist insofern auch problematisch, als Umwelt- und Klimaproteste mit dem Stigma des Linksextremismus belegt werden können, seitdem der Berliner Verfassungsschutz Ende Gelände als linksextremistisch einstuft (Verfassungsschutz Berlin 2020:162f.). Das kann übrigens auch eine Ursache für den Anstieg der linksextremistischen Straftaten sein. Diese Unsicherheit ist allerdings kein Fehler oder keine Ungenauigkeit der Autor:innen, sondern des Verfassungsschutzes, der die Zahlen veröffentlicht.

Zahlen zu linksextremistischen Straftaten bleiben ohne genaue Erklärung

Allerdings ist die ZDF-Dokumentation zu bemängeln, weil die Zahlen des Verfassungsschutzes nicht in einen Kontext gesetzt werden. Abgesehen vom Jahr fehlt das Bezugsjahr, zu dem die Zahl um 40 Prozent angestiegen ist. Es ist das Vorjahr 2018. Auch fehlt die tatsächliche Zahl der Straftaten, um den Anstieg einordnen zu können.

 

Im Jahr 2018 gab es noch 4622 linksextremistische Straftaten, im Jahr 2019 waren es 6449. Das ist ein Anstieg von 39,5 Prozent, also die im Beitrag erwähnten 40 Prozent. Anders ausgedrückt gab es 1827 linksextremistische Straftaten mehr. Linksextremistische Straftaten haben 2019 einen Anteil von 20,5 Prozent an den Straftaten mit politisch-extremistischen Motiven (BMI 2020a:12).

ZDF-Doku über Linksextremismus: Autor:innen unterschlagen wichtigen Teil der Statistik

Das Bundesinnenministerium differenziert außerdem zwischen Straftaten und Gewalttaten. Diese Differenzierung wird in der Dokumentation nicht wiedergegeben. Das ist ein Problem, denn der Beitrag konzentriert sich auf Gewalt gegen Menschen. Allein schon durch den Titel, aber auch durch das Beispiel des Paares aus Stuttgart, stehen Brandanschläge und Morddrohungen im Vordergrund. Die gehören nach Angaben des Bundesverfassungsschutzes zu den Gewalttaten. Aus dieser Statistik geht hervor, dass im Jahr 2018 1010 Gewalttaten ein linksextremes Motiv hatten. 2019 waren es 921. Das sind 89 linksextreme Gewalttaten weniger, was einem Rückgang um 8,8 Prozent entspricht (BMI 2020a:12). Außerdem ist das die niedrigste Zahl der Gewalttaten seit dem Jahr 2012, wo es 876 Gewalttaten mit linksextremistischen Hintergrund gab (BMI 2020b).

 

Dieser Teil der Statistik wird unterschlagen. Das ist problematisch, weil die Dokumentation der Prämisse folgt, dass linksextremistische Gewalt zunimmt und immer gefährlicher wird.

Nachfragen auf ungenaue Aussagen von Polizisten und Verfassungsschützer bleiben aus

Das ist zumindest die Essenz der Interviewpartner vom Hamburger Verfassungsschutz, vom Bundeskriminalamt und einem Berliner Bereitschaftspolizisten, der außerdem Mitglied der Gewerkschaft der Polizei ist. Deshalb fällt auch dieser Satz: „Obwohl es [seit dem G20-Gipfel in Hamburg] kein Großereignis für die Szene gab, habe die Gewaltbereitschaft linksextremistischer Täter zugenommen, beobachtet das Bundeskriminalamt und warnt davor, diese Entwicklung zu unterschätzen.“ Die Autor:innen beziehen sich in diesem Satz der Sprecherin zwar auf das BKA, allerdings wird nicht klar, auf welcher Grundlage diese Aussage fällt. Die Statistik der Gewalttaten zeigt einen leichten Rückgang.

 

Generell zeigen die Autor:innen keine Bereitschaft, die Aussagen ihrer Interviewpartner zu überprüfen. Diese sprechen alle von einer stärkeren Gewaltbereitschaft und von brutaleren Aktionen. Eine Erklärung fehlt, genau wie ein Nachfragen, woran die Personen das festmachen.

 

Hinzukommt eine Aussage des BKA-Vizepräsidenten Jürgen Peter, der im Kontext der Klimaproteste die Waldbesetzer:innen allesamt als Autonome und als gewaltbereit bezeichnet. Aufgrund dieser Aussage lässt sich vermuten, dass eine Erklärung für den Anstieg der Straftaten tatsächlich bei den Klimaprotesten zu suchen ist.

Linksextremist:innen kommen nicht zu Wort, abgesehen von einem merkwürdig verkürzten Zitat

Die Dokumentation wird in der Mediathek so angekündigt, dass die beiden Autor:innen Beate Frenkel und Michael Haselrieder mit den Opfern sprechen. Trotzdem wurde ein breiterer Ansatz gewählt. Dann wäre es auch nötig gewesen, auch die Linksextremist:innen selbst, zum Beispiel die Hausbesetzer:innen der Liebigstraße 34 in Berlin, zu Wort kommen zu lassen. Das geschieht nur in einem kurzen Ausschnitt aus der Pressekonferenz der Bewohner:innen des besetzten Hauses vor der Räumung. Im Ausschnitt fällt auch der Satz „Man kämpft für sie, mit allen Mitteln.“ Die Doku-Sprecherin ergänzt: „Gewalt nicht ausgeschlossen.“ Warum lassen die Autor:innen der Doku die Person nicht aussprechen, wenn sie sagt, Gewalt sei nicht auszuschließen? So können sich Zuschauer:innen nicht sicher sein, ob das so war. Bekannt ist nur, dass die Räumung des besetzten Hauses von Seiten der Bewohner:innen friedlich ablief.

 

Die Doku „Brandanschläge und Morddrohungen. Linksextremismus in Deutschland“ bleibt doch dem Bild von Steine werfenden, Autos anzündenden Linksextremist:innen treu und reproduziert damit die bekannten Klischees.

 

Die ZDF-Dokumentation "Brandanschläge und Morddrohungen. Linksextremismus in Deutschland" läuft am Mittwoch, 3. Februar 2021, um 21 Uhr auf ZDF-Info und ist in der ZDF-Mediathek zu sehen.

 

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